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Reisetagebuch

Während meiner Südamerikareise 2002 habe ich regelmässig Berichte nach Hause geschickt und auf dieser Seite veröffentlicht. Die Berichte erheben weder Anspruch auf politische Korrektheit noch Objektivität. Sie sollen einfach wiederspiegeln, was ich erlebt und dabei empfunden habe.
Ich habe ebenfalls ein paar Daten zusammengetragen und eine kleine Reisestatistik erstellt.

Aus den überarbeiten Berichten ist ein bebildertes Buch geworden. Wer gerne ein Exemplar möchte, soll sich bei mir melden. Das Buch ist aber auch online erhältlich: [PDF] (6MB download)

Die original-Berichte sind immer noch online:
20.2.2002 - Zu Hause
5.3.2002 - Puerto Montt
15.3.2002 - Osorno, Chile
21.3.2002 - Temuco, Chile
29.3.2002 - La Serena, Chile
4.4.2002 - La Serena, Chile
10.4.2002 - Iquique, Chile
19.4.2002 - La Paz, Bolivia
29.4.2002 - Sucre, Bolivia
6.5.2002 - Sucre, Bolivia
20.5.2002 - Santa Cruz, Bolivia
29.5.2002 - La Paz, Bolivia
14.6.2002 - Copacabana, Bolivia
Als nächstes war die "gefährlichste Strasse der Welt" als Bike-Downhill angesagt. Von La Cumbre, 4700m, nach Yolosa, 1100müM führt diese Strasse, die La Paz mit den Yungas verbindet.
Diese Strasse mit dem Bike zu machen ist vermutlich der sicherste Weg, stürzen doch ständig wieder Laster und Busse in die Tiefe. Das einzige grosse Risiko ist das Bike selbst.
Wie froh war ich, dass ich darauf bestanden habe, meines im voraus auszusuchen. Meine Mitfahrenden hatten zum Teil unverantwortbare Dinger unter dem Arsch.
Die oberste Strecke war Asphalt und saukalt vernebelt. Auf Dreckweg und unter Wasserfällen durch wurde es immer wärmer. Der tropische Faulgeruch begann die Luft zu erfüllen. Komplett vollgespritzt und mit schmerzenden Fingergelenken kamen wir nach etwa 4h downhill in Yolosa an. Mit zwei mitgefahrenen Schweizern erholte ich mich in Coroico, einem hübschen Dörfchen wieder etwas weiter oben.
Eigentlich wollte ich nach ein bis zwei Tagen ja zurück nach La Paz, mir kam aber zu Ohren, dass es einen schönen Umweg durch die Yungas an den Lago Titicaca gäbe. Da ich den Turistenrummel ziemlich satt hatte erschien mir diese Variante durch mehr oder weniger Turistenfreies Gebiet genau richtig. Ich konnte ja nicht ahnen, wieviel Abenteuer da auf mich zukam.
Die Schweizer wählten denselben Weg, um nach Rurre zu kommen, da die direkte Strasse von Campesinos blockiert wurde. So stiegen wir also auf den erstbesten Lastwagen nach Caranavi. Diese Reisevariante bietet neben heftigem Gerüttel auch viel Luxus: 360Grad Rundumsicht, ein kühlendes Lüftchen und Abenteuergroove. Von Caranavi fuhr ein Bus nach Guanay. Mitten auf der Strecke versagten die Bremsen. Nur mit Mühe konnte der Fahrer den Bus mithilfe des Motors anhalten. Nach 1h Reparatur konnte es weitergehen.
Am nächsten Morgen nahmen die Schweizer ein Boot nach Rurre und ich machte mir einen gemütlichen Vormittag in diesem Goldsucherdörfchen mit Besuch einer Goldmine. Nach feinem Mittagessen sprang ich auf einen Laster nach Santarosa. 13h wenn kein Regen, meinte Jaime, der Fahrer. Es sollte ganz anders kommen.
Wir begannen, leicht über Schrittempo, durch die Hügellandschaft zu kriechen. Die Abenddämmerung genoss ich mit Tom Waits, auf Reissäcken liegend und bald in die Sterne schauend, die zwischen den Wolken auftauchten. Dauernd waren Stops nötig, da entweder ein geplatzter Schlauch ersetzt werden musste, oder der LKW wiedermal im Dreck steckenblieb. Halbverhungert erreichten wir ein Kaff, wo Ware abgeladen wurde und wo's was zu essen gab, leider keine Cerveza, um den Tag zu verdauen.
Da wir nicht weiterfahren konnten, schliefen wir auf der Ladefläche, dank Regen unter einer Plane ohne Sternsicht. Ein Petflaschenstapel diente mir als akzeptables Bett.
Um 6:00 Uhr ratterte der Moto wieder und die Schlammschlacht konnte beginnen - wieder ohne was zu beissen.
Mit Schaufel und Pickel musste die Strass immer wieder ausgebessert werden. Harte Arbeit, die anfangs lustig ist, aber bald auf den sack geht. Die drückende Hitze und die Mücken, die bei jedem Halt anschwärmen heben das Gemüt auch nicht sonderlich. Wenigstens ist das Fahrerteam sympathisch; Jaime, seine Frau und Leonardo, der Schaufel- und Umladejunge. - Ein Truck, eine Schaufel, ein Mann. Gemeinsam kämpfen sie gegen Boliviens Strassen.
Nicht genug, blieb der Laster am zweiten Tag gleich ganz stehen, da die Aufhängung einer Hinterachse ausgerissen war, was die Ladefläche fast zum kippen brachte. Das nächste Dorf war nur eine gute Stunde Fussmarsch entfernt und zwei zogen los, um Hilfe zu bestellen.
Um endlich wieder was zu essen plünderten wir die Wagenladung, die grösstenteils aus Lebensmitteln bestand, und ich packte meinen Kocher aus, der viel Staunen und Neid erregte. Ein weiteres Mal die öde Konversation "wieviel kostet dies, wieviel das". Diese Nacht wählte ich die Reissäcke als Unterlage und unter Sternenhimmel - bis der Regen kam.
Da keine Hilfe kam machten wir uns ein weiteres Mal auf den Weg ins Dorf. Diesmal war ich an der Reihe, zusammen mit Leonardo. Weit ging es den Hang runter, auf Abkürzungen durch Dickicht. In einem Fluss badeten wir ausgiebig, eine herrliche Erfrischung nach drei Tagen. Ich stank schon etwa nach allem, wonach ein Mensch stinken kann.
Im Dorf angekommen, hielt sich der Tatendrang der Dofbewohner reichlich in Grenzen. Immerhin nahm einer Leonardo mit dem Motorrrad zurück, um woanders Hilfe zu holen. Ich hatte zu warten, keine Ahnung, wie lange.
Die Dorfbewohner waren nett. Sie leben von Tee- und Reisanbau und leben in Lehmhütten mit Strohdach - mit Strom wohlgemerkt.
Mit dei Wissbegierigen übte ich etwas Englisch, dazu das langersehnte Bier. Damit ich nicht im Dunklen zurückkehren musste, fragte ich nach einem Bett, Unterkunft gab es keine. Die Wirtin willigte freundlich ein.
Wo's Strom gibt, gibts Fernsehen. So liess ich des Abends eine üble heul-und schrei-Soap über mich ergehen, gefolgt von einer noch übleren Talkshow wo Mütter ihre Töchter prügeln, weil sie ihrem Freund nicht hörig sind, dann aber deren Machofreund, da eine Einspielung ihn miot einer anderen zeigt u.s.w.
Geschlafen habe ich im Büro, dem Geruch nach wohl auch das Kokalager. Lachen musste ich, als ich bei der Suche nach einem Moskitonetz feststellte, dass nichteinmal Fensterscheiben vorhanden waren.
Am Morgen zottelte ich zurück zum Lastwagen. Unterwegs schnappte ich mit eine herrliche Grapefruit frisch vom Baum und badete im Fluss. Bei diesem bescheidenen Luxus fühlte ich mich wie ein König. Zurück über eine morsche Hängebrücke und wieder den Hang hinauf dauerte der Weg einiges länger. Mein mitgeschlepptes Brot und Wasser kamen gut an.
Weiter ging das Warten in der brütenden Hitze und der Kampf gegen die Mücken. Tropentauglicher Insektenschutz - dass ich nicht lache. Nur schon auf meinem Unterarm zählte ich gut 100 Stiche, jeden einzelnen Venenzentimeter hatten die Biester angezapft. Wenn ich nicht gerade las oder Spanisch lernte, qualmte ich, um die Viecher loszuwerden - jaja, ich rauche schon ein Weilchen wieder.
Dem Pech nicht genug ging auch noch das Wasser aus. Zum Glück war ein Bach in der Nähe. So konnten wir auch wieder Kochen, natürlich immer dasselbe: Reis, Kartoffeln, Tomaten und Eier. Im wahrsten Sinn des Wortes habe ich Dreck gefressen, wenigstens abgekochten. Als ich ihnen für die Fahrt und das Essen 50bs, doppelt soviel wie ausgemacht, überreichte, gabs dann plötzlich auch Büchsenfleisch von der Ladefläche.
So nebenbei: Die zu fahrende Strecke beträgt nur gut 100km!
Ich liess Leonardo zwischendurch meinen Minidisc benutzen, was im gut gefiel. Ich musste mich schon wehren, wenn ich mir in der Gluthitze etwas kühlenden Miles Davis gebären wollte.
Am vierten Tag an diesem Ort mitten im Nichts kam endlich ein anderer Laster, der mich nach Santarosa brachte. Auf der Fahrt, die jetzt recht zügig voranging, stellte ich fest, dass mein Minidisc verschwunden war. Hatte mir dieser Drecksjunge doch tatsächlich meinen MD aus dem Rucksack geklaut, bevor ich den Laster wechselte. Meine Nerven waren am Ende, der Tiefpunkt meiner Reise erreicht. Was sollte ich nur ohne meinen Seelenbalsam Musik machen. Irgendwie konnte ich ihm aber nicht wirklich böse sein, hat mein MD für ihn doch den Gegenwert von 10 Monatslöhnen, für mich sinds 2 Tageslöhne. Als Schweizer ist man ja auch gut versichert, aber was nützt mir das hier, ich kann meine Musik ja doch für Monate nicht hören.
Da ich wusste, dass die anderen nach Santarosa kommen würden, sobald der Truck repariert wäre (die Ersatzteile hatten sie zu dieser Zeit schon), entschloss ich mich, in Santarosa auf sie zu warten und den Bengel zu stellen.
17.6.2002 - Puno, Peru
25.6.2002 - Cusco, Peru
5.7.2002 - Pisco, Peru
20.7.2002 - Huaraz, Peru
4.8.2002 - Iquitos, Peru
19.8.2002 - Salvador, Brasil
4.9.2002 - Vitoria, Brasil
15.9.2002 - Rio de Janeiro, Brasil
29.9.2002 - Bonito, Brasil
12.10.2002 - Buenos Aires, Argentina
28.10.2002 - zu Hause
[Sourcecode des Reisebericht-Projektes (Mailinglist,MySQL)]


last update: 14. Mar 21

Author: Alain Brenzikofer